Offener Brief: Künstler fordern Resolution zu Völkermord an den Armeniern

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

der Deutsche Bundestag und seine Vorgängerinstitutionen schweigen seit hundert Jahren zum Völkermord an den Armeniern. Doch eine Partnerschaft zerbricht nicht an dem, was ausgesprochen wird, sondern an dem, was unausgesprochen bleibt.

Wir fordern Sie heute auf, am 2. Juni 2016 klar Stellung zu beziehen und das Verbrechen an dem armenischen Volk als das zu bezeichnen, was es ist: ein Völkermord. Denn es geht um mehr als eine historische Einordnung, um mehr als eine Entschuldigung gegenüber den Nachkommen der Opfer. Stellen Sie sich vor, Sie lebten in Deutschland und der Holocaust würde geleugnet – wäre das nicht eine Fortsetzung der eigentlichen Tat?

Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern schafft die Grundlage für Gewalt in der Gegenwart: 1915 wurden die Armenier als Terroristen bezeichnet, ihr Besitz wurde enteignet. Allein 2015 wurden nun in der Türkei offiziell über 5000 Kurden getötet, weil sie angeblich Terroristen waren. Das Stadtzentrum von Diyarbakir wurde fast vollständig zwangsenteignet. Vor wenigen Tagen warnte Staatspräsident Erdogan, Armenien spiele in Berg-Karabach mit dem Feuer, schließlich lebten noch über 100.000 Armenier in der Türkei. Wir sind fest davon überzeugt, dass all dies möglich ist, weil die Türkei sich systematisch weigert, sich ihrer Geschichte zu stellen und weder historisches noch gegenwärtiges Handeln im internationalen Umfeld wirkliche Konsequenzen hat.

Der Schriftsteller Armin T. Wegner berichtete über 1915: „(…)(Ich) ging auf das Auswärtige Amt, wo man alles wusste, aber sagte, dass man nichts tun könnte. Ich (…) musste ohnmächtig diesen furchtbaren Untergang dieses Volkes mit ansehen. (…) Der damalige Bürgermeister von Aleppo, der ein menschlich fühlender Bürgermeister war, telegraphierte an Talaat, an den Minister des Inneren: Es sind hier Scharen von Tausenden von Armeniern angekommen. Was soll mit ihnen geschehen? Und Talaat, der große Feind der Armenier, telegraphierte zurück: Das Ziel der Verschickung ist das Nichts.“

Im Sinne einer deutsch-türkischen Partnerschaft, die nicht zerbrechen darf, fordern wir Sie deshalb heute auf, zu den europäischen Grundwerten zu stehen und zu einer Klarheit der Worte zurück zu finden. Das sind Sie den Nachkommen der Opfer des Genozids, Ihrer eigenen Verantwortung gegenüber der Geschichte und der türkischen Zivilgesellschaft – egal welcher Ethnie – schuldig. Es geht in letzter Konsequenz um die Beendigung der eigentlichen Tat, um eine friedliche Zukunft für eine freie, vielfältige und angstfreie Türkei zu ermöglichen.

Marc Sinan, Komponist und Gitarrist
Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker